Interdisziplinäre Friedensforschung

Die Friedensforschung kann im 21. Jahrhundert bereits auf zahlreiche internationale Statistiken zur Friedlichkeit der Länder weltweit und zu einigen sozialen und psychologischen Indikatoren in diesen Ländern zugreifen.

Insoferne geht es in Zukunft darum, Forschungsergebnisse interdisziplinär zu diskutieren, und interdisziplinär neue Forschungsthemen anzuregen. Wichtig erscheint dabei der Austausch mit

  • Politische Psychologie: Wie beeinflussen Erziehungsstile die Friedlichkeit von Ländern (Thema Körperstrafe)? Wie ist die Kindheit der Kriegstreiber verlaufen?
  • Gender Studies: in welchen Kulturen prägen sich gewalttätige Männlichkeiten aus - in welchen "caring Masculinities"? Wie beeinflussen Väter und Mütter friedliche Männlichkeit und friedliche Weiblichkeiten?
  • Pädagogik: kann Friedenspädagogik heutzutage die Ergebnisse der internationalen Friedensindizes (Global Peace Index, Positive Peace Index) stärker in die Friedenserziehung einfließen lassen?
  • Kultur- und Sozialanthropologie: wo und wie haben sich friedliche Gesellschaften entwickelt?
  • Religionswissenschaften / Theologie: Welchen Einfluss haben Religionen auf die Friedlichkeit von Gesellschaften?
  • Publizistik und Kommunikationswissenschaften: gefährdet Gewalt in den Medien eine gesellschaftliche Kultur des Friedens?

Updates dazu gibt es laufend auf Linkedin , ResearchgateX.com und Facebook, sowie auf dem SDG 16 Podcast, der auch auf Spotify, Amazon Podcasts und Youtube Music verfügbar ist.

Franz Jedlicka

Postgraduate Student an der Universität Wien


Der Wettstreit religiöser Länder mit der säkularen Welt

Friedlichkeit, Zufriedenheit, Ehrlichkeit und sozialer Fortschritt auf dem Prüfstand

von Franz Jedlicka

   Im einundzwanzigsten Jahrhundert gibt es weltweite Daten zu fast allen Aspekten des menschlichen Lebens. Wir können zum Beispiel – meist durch eine kurze Recherche im Internet – recht einfach herausfinden, wie hoch das Durchschnittseinkommen in diesem oder jenen Land der Welt ist, wie hoch die Bevölkerungsdichte oder der Grad der Alphabetisierung.

   Durch diese vielen internationalen Statistiken kann man heutzutage auch eher religiöse Länder mit säkularen Ländern vergleichen. Menschen aus religiösen Ländern äußern sich ja oft kritisch über jene Menschen, die sich selbst als nicht gläubig bezeichnen. Es gibt in manchen religiösen Gruppierungen sogar einen Hass auf die „Ungläubigen“.

   Aber ist diese kritische Sichtweise auf säkulare Länder und Nicht-Gläubige begründet? Oder, anders gefragt: Erfüllen Religionen, speziell wenn sie durch religiöse Politiker und Politikerinnen propagiert werden, die typischen Versprechen, die Religionen geben: dass das Land friedlicher wird, dass das Leben besser wird durch Religiosität, dass religiöse Menschen ehrlicher sind und letztlich auch: dass religiöse Menschen glücklicher sind?

   Es ist ja nicht zu übersehen, dass es auch große Migrationsbewegungen aus eher religiösen Ländern in säkulare Länder gibt, was wohl dadurch zu erklären ist, dass diesen Migrantinnen und Migranten ein Leben dort besser vorkommt.

   Ich möchte sowohl religiöse als auch konfessionslose Menschen einladen, sich ein paar weltweite Daten anzusehen, die Antworten auf vier Fragen geben können:

  • Erstens: sind religiöse Länder wirklich friedlicher? Ist das Alltagsleben wirklich gewaltfreier? (Diese Frage stellte übrigens schon Viktoria Rationi in ihren Publikationen)
  • Zweitens: sind Menschen in religiösen Ländern ehrlicher?
  • Drittens: Gibt es eine positive Entwicklung der Lebensumstände in religiösen Ländern? (Wird das Leben besser?)
  • Viertens: Sind Menschen in religiösen Ländern glücklicher?

   Ich rege diese Diskussion nicht deshalb an, weil ich religiöse Menschen kritisieren will, sondern weil ich als Friedensforscher mit Besorgnis und auch Trauer regelmäßig Daten über verschiedene Formen der Gewalt in den Ländern der Welt sehe, die in religiösen Ländern oft höher sind als in säkularen Ländern.

   Friedlichkeit. Der wichtigste internationale Index zur Friedlichkeit der Länder der Welt ist der Global Peace Index, der jedes Jahr vom Institute for Economics and Peace im Internet veröffentlicht wird. Wenn es um die Erforschung der Ursachen von Kriegen geht, werden natürlich historische und politische Entwicklungen in den betreffenden Regionen genannt, quasi als Begründung: hier „musste“ ja eine Partei zu den Waffen greifen. Ich denke jedoch, dass für Menschen, die einer Religion angehören die sich als friedlich bezeichnet, der Grundsatz der Gewaltfreiheit auch bei nationalen und internationalen Konflikten gelten muss: Diese Menschen werden alles versuchen, einen Konflikt durch Verhandlungen, gewaltfreien Widerstand, Embargos … zu lösen, jedoch nicht mit Bomben, Panzern und Gewehren.

   Gewaltfreiheit (Die Ablehnung von Gewalt innerhalb eines Landes:). Wer meine bisherigen Artikel gelesen hat weiß, dass ich die Ursachen für Kriege in einer „Kultur der Gewalt“ sehe, die in manchen Ländern der Welt vorherrscht und sich darin zeigt, dass de facto viele Formen der Gewalt gesetzlich nicht verboten sind. Auch diese Informationen kann man sich selbst im Internet ansehen, und viele religiöse Menschen werden möglicherweise erstaunt sein, dass das Verbot aller Formen von Gewalt vor allem in säkularen Ländern existiert:

   Als Friedensforscher vertrete ich die Ansicht, dass die Welt nur dann nachhaltig friedlich werden kann, wenn alle Formen der Gewalt weltweit verboten werden, insbesondere die Gewalt in der Kindererziehung, denn eine gewaltfreie Kindheit ist das psychologische Fundament friedlicher Gesellschaften. Ich nenne diese Strategie übrigens "Peace Mainstreaming".

   Ehrlichkeit. Sind Menschen in religiösen Ländern ehrlicher? Eine Antwort auf diese Frage liefert der Korruptionsindex (Corruption Perceptions Index).

   Sozialer Fortschritt. Ein sehr umfassender Index dazu ist der Social Progress Index. Er umfasst Daten zur Qualität des Gesundheitssystems, der Bildung, Trinkwasser und so weiter. Es geht hier also nicht um den ökonomischen Fortschritt, sondern um eine Verbesserung der Lebensqualität.

   Glück / Zufriedenheit. Sind Menschen in religiösen Ländern glücklicher? Jedes Jahr wird – aufgrund von weltweiten Umfragen – der World Happiness Report veröffentlicht. Er liefert einen Eindruck zur Lebenszufriedenheit in den Ländern der Welt.

   Die genannten Statistiken könnten also eine Antwort – oder zumindest Tendenzen – zu vier wichtigen Lebensbereichen liefern, anhand derer man religiöse Länder mit säkularen Ländern vergleichen kann. Jeder, der sich diese Statistiken angesehen hat (die sich in den kommenden Jahren sicher noch verändern werden – vielleicht kommen auch neue Statistiken dazu), kann eine Antwort auf die eingangs gestellte Frage finden:

   Wer hat die Nase vorne beim Wettlauf der säkularen Welt mit den religiösen Ländern um die Themen Friedlichkeit und Gewaltfreiheit, Ehrlichkeit, sozialen Fortschritt und Glück?

   Abschließend möchte ich noch einmal betonen, dass dieser Artikel aus meiner Perspektive als Friedensforscher und als Aktivist für eine gewaltfreie Kindheit (SDG 16.2.) und den Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt (SDG 5.2 – ich bin ein Unterstützer der White Ribbon Kampagne) entstanden ist. Es ist für mich sehr traurig und erschreckend zu sehen, dass die Gewalt gegen Kinder und Frauen in religiösen Ländern oft höher ist als in säkularen Ländern, aber natürlich sind auch alle anderen Formen von Gewalt, die ich in meiner „Culture of Violence Scale“ genannt habe, schrecklich.

   Dieser Artikel soll vor allem Diskussionen anregen: Zwischen religiösen Menschen (auch unterschiedlicher Religionen), zwischen religiösen und nichtreligiösen Menschen, und zwischen religiösen Menschen und ihren religiösen Führungspersönlichkeiten. Für all jene religiösen Menschen, die sich die Frage stellen, ob es eine positive nichtreligiöse Denkschule gibt möchte ich auf den Humanismus hinweisen, der sich für Rationalität und Vernunft einsetzt. Denn unabhängig von religiösen Geboten ist es einfach vernünftig, gewaltfrei zu leben, weil es menschliches Leid vermeidet. Und es zeugt von einem Mangel an Empathie Gewalt zuzulassen, wenn man sieht, dass Menschen darunter leiden.

   Und wer es noch nicht wusste: es gibt an manchen Universitäten schon eine Säkularitätsforschung: man findet sie im Internet unter dem Suchbegriff „Secular Studies“. In den Büchern von Phil Zuckerman, Ryan T. Cragun, Isabella Kasselstrand (u.a.) kann man nachlesen, wie es sich in säkularen Gesellschaften lebt. Derartige Fakultäten sollte es auch im deutschen Sprachraum geben.

Dieser Artikel von Franz Jedlicka wurde veröffentlicht unter folgender Creative Commons Lizenz: CC BY-ND 4.0, was bedeutet, dass er ohne Rücksprache mit dem Autor auch in anderen Publikationen und auf anderen Webseiten veröffentlicht werden darf, wenn er nicht verändert wird und die Quelle angegeben wird.

Culture of Violence Scale

Die Culture of Violence Scale ist ein Tool zur Einschätzung der Akzeptanz von Gewalt in einer Gesellschaft / in einem Land, und wird Basis für den Culture of Violence Index sein.

Sie kann ein zusätzliches Tool zur Einschätzung der Gefahr militärischer Konflikte sein, soll aber vor allem prospektiv aufzeigen, wo Friedenspolitik und Außenpolitik ansetzen muss, wenn sie auch ein  psychologisches Fundament für nachhaltigen Frieden schaffen will.

Die zehn Kategorien, die die Akzeptanz von Todesstrafe, Körperstrafe, Gewalt gegen Kinder, Gewalt gegen Frauen, Folter (+ OPCAT), und Bestrafung von LGBTIQ+ Personen umfasst, sollten jedoch auch wünschenswerterweise in der Entwicklungspolitik mitgedacht werden, wenn sie im Sinne des Triple Nexus / HDP Nexus auch die Friedlichkeit eines Landes fördern will.

Culture of Violence Scale


Das vollständige Konzept ist als PDF auf LinkedIn und Researchgate als Download verfügbar.

Digitales Peacebuilding

 Unter dem Begriff "Digital Peacebuilding" werden Info-Tools, Datensets und Kommunikationstools vorgestellt und entwickelt, die bei Peacebuilding Prozessen helfen können. Es gibt auch einige Online Kurse dazu.

Was bedeutet "Kultur der Gewalt"?

Faktoren einer Kultur der Gewalt sind:

* mangelnder Kinderschutz vor körperlicher Gewalt in der Erziehung

* mangelnde Gleichberechtigung von Frauen

* Gewalt und mangelnde Rechte gegen LGBTIQ+ Personen

* mangelnde Umsetzung der Menschenrechte

* Gewalt in den Medien (Filme, Serien, Nachrichten, Online-Videos, Songtexte)