von Franz Jedlicka
Viele Menschen wünschen sich Frieden auf der Welt. Auch beim Thema Weltfrieden gibt es jedoch ein einfaches Prinzip, das für viele Themen des Lebens gilt: Man sollte von jenen lernen, die es besser machen als man selbst. Das heißt: man kann von den friedlichsten Ländern der Welt lernen. Drei wichtige Merkmale dieser Länder sind: die Staatsform der Demokratie, eine konsequente Gesetzgebung der Gewaltlosigkeit, und eine hohe Gleichberechtigung von Frauen.
Ich möchte mich in diesem Text auf das zweite und dritte Merkmal konzentrieren, da die Bedeutung der Demokratie für Friedlichkeit weitgehend bekannt ist.
Meine Friedensforschung, in der ich die Gesetzgebung in allen Ländern der Welt in Bezug auf verschiedene Formen der Gewalt analysiert habe (in der Culture of Violence Scale), zeigt folgendes: Friedliche Länder haben ALLE Formen der Gewalt gesetzlich verboten. Das ist zum Beispiel in den meisten Ländern der Europäischen Union der Fall. Dort ist sowohl die Gewalt gegen Kinder, die Gewalt gegen Frauen, die Todesstrafe, die Folter, die körperliche Bestrafung im Strafvollzug, und die Gewalt gegen Homosexuelle verboten.
Eine Regierung, die ihren Bürgerinnen und Bürgern zeigen will, dass Gewalt in keiner Situation ein Mittel der Konfliktlösung ist, muss dies nämlich auch in der Gesetzgebung festhalten. Die Gesetze eines Landes sind die Grundlage für das Verhalten der Menschen und meist auch die Grundlage ihrer Moral. Nur ein absolutes Verbot aller Formen von Gewalt zeigt eine konsequente Politik der Gewaltfreiheit.
Am wichtigsten dabei aus Sicht der Friedenspsychologie ist das Verbot der Gewalt in der Kindererziehung. Eine gewaltfreie Kindheit ist das psychologische Fundament einer friedlichen Gesellschaft, aber leider ist die körperliche Bestrafung von Kindern derzeit (2025) nur in rund einem Drittel der Länder weltweit verboten. Politische Akteure und Akteurinnen, die das verstanden haben, müssen bei diesem Thema möglichst schnell handeln, denn es dauert rund zwanzig Jahre, bis eine gewaltfreie Generation herangewachsen ist. Informationen für eine geeignete Strategie geben die Empfehlungen der EndCorporalPunishment Webseite und die kostenlosen Publikationen der INSPIRE Strategie. Sowohl die USA als auch Russland und andere global Player werden vermutlich nicht nachhaltig friedlich werden, so lange dort noch die Gewalt gegen Kinder erlaubt wird.
Was für das Thema Kinderschutz gilt, gilt natürlich auch für das Thema Gewalt gegen Frauen: auch sie muss gesetzlich verboten werden, genauso wie die Vergewaltigung in der Ehe (sie ist auch ein Item in der Culture of Violence Scale). Wie soll ein Land friedlich werden, wenn bereits das Schlagen von Frauen und Kindern erlaubt ist? Es gibt auch eine Intersektionalität zwischen häuslicher Gewalt gegen Frauen und der Gewalt in der Kindererziehung: sie treten oft gemeinsam auf, und viele Menschen, die als Kind Gewalt erlebt oder bei den Eltern beobachtet haben, wiederholen dieses Verhalten. Sie haben mit eigenen Augen erfahren, dass Gewalt ein erlaubtes Mittel der Konfliktlösung ist.
Neben der Gesetzgebung in Bezug auf die genannten Formen von Gewalt ist auch die Gleichberechtigung von Frauen ein wichtiger Friedensfaktor. Je höher sie ist, desto friedlicher ist ein Land. Das wurde auch statistisch bewiesen, z.B. von Valerie Hudson (WomenStats Projekt). Eine mangelnde Gleichberechtigung ist ein Zeichen von "struktureller Gewalt" (ein Begriff des Friedensforschers Johan Galtung). Das Gleiche gilt übrigens auch für die Unterdrückung von Homosexuellen und LGBTIQ+ Personen. Auch die UNO hat diese Erkenntnis berücksichtigt: Sie empfiehlt in der UNSC Resolution 1325 die Beteiligung von Frauen an Peacebuilding Prozessen, darunter versteht man Strategien der Friedensförderung, zum Beispiel Friedensverhandlungen.
Religionen, zum Beispiel "Religions for Peace", werden nur dann einen Beitrag zum Weltfrieden liefern, wenn sie alle der genannten drei Faktoren unterstützen: die Staatsform der Demokratie, ein konsequentes gesetzliches Verbot aller Formen von Gewalt, beginnend mit dem Verbot der Gewalt in der Kindererziehung und einem Verbot der Gewalt gegen Frauen, und die Gleichberechtigung der Geschlechter. Sie werden den Weltfrieden jedoch behindern, wenn sie all jene Formen der Gewalt oder der Diskriminierung, die bisher erwähnt wurden dulden oder sogar bewerben. Das ist leider bei den Themen Prügelstrafe in der Erziehung und Gewalt gegen Frauen und Homosexuelle noch immer der Fall. Sogar der aktuelle Papst Franziskus hat bereits mehrmals die körperliche Züchtigung von Kindern empfohlen. Ohne es vermutlich zu wissen, behindert er damit seine eigene Friedensmission. Leider wird auch die Gleichberechtigung von Frauen von vielen Religionen behindert oder sogar verhindert.
Religiöse Führer, und alle anderen politischen Akteure die sich mit den negativen Wirkungen der Gewalt in der Kindheit bisher nicht befasst haben, sollten die Bücher und Texte von Alice Miller lesen, und jene, die bisher geglaubt haben, dass der Mensch grundsätzlich böse ist und durch strenge Bestrafung auf den richtigen Weg gebracht werden muss, sollten das "Seville Statement on Violence" führender Psychologinnen und Psychologen lesen, die das Gegenteil aussagt, oder das Buch "Im Grunde gut" von Rutger Bregman.
Was bedeutet das für die Friedensbewegung? Es bedeutet, dass es nicht ausreichen wird, auf den Straßen für Frieden zu demonstrieren. Aktivistinnen und Aktivisten der Friedensbewegung müssen sich für Demokratien, für ein gesetzliches Verbot aller Formen von Gewalt, und für die Gleichberechtigung von Frauen einsetzen. Dazu wird ein internationaler Aktivismus notwendig sein, wie ihn zum Beispiel Amnesty International betreibt. Auch Männer in der Friedensbewegung müssen sich klar für die Gleichberechtigung von Frauen aussprechen, indem sie sich zum Beispiel zur HeForShe Kampagne bekennen oder den White Ribbon der White Ribbon Kampagne tragen, einer weltweiten Bewegung von Männern gegen häusliche Gewalt.
Auch in der Entwicklungshilfe und Entwicklungspolitik muss man die genannten Faktoren berücksichtigen. Im Triple Nexus Konzept, das auch HDP Nexus genannt wird, wird bereits jetzt empfohlen, dass Aktivitäten der Entwicklungshilfe und der humanitären Hilfe durch Aktivitäten zur Friedensförderung ergänzt werden sollten. Könnte zum Beispiel in der Entwicklungszusammenarbeit immer auf die Wichtigkeit einer gewaltfreien Kindererziehung hingewiesen werden?
Auch Journalistinnen und Journalisten können eine wichtige Rolle beim Thema Weltfrieden spielen. Sie sollten immer wieder jene Zusammenhänge erklären, die ich heute hier aufgezählt habe. Wenn es um autoritäre politische Führer geht, die erfahrungsgemäß eine Gefahr für die Friedlichkeit darstellen, sollten Journalisten versuchen, die Kindheit dieser Personen zu erforschen. In der psycho-historischen Forschung, in der die Biographien von Politikerinnen und Politikern analysiert wurden, hat sich gezeigt, dass Kriegstreiber und Diktatoren selbst Gewalt in der Kindheit erlebt haben. Das kann man zum Beispiel in den Publikationen und im Blog von Sven Fuchs nachlesen. Wenn man diesen Umstand rechtzeitig erkennt, kann vielleicht Schlimmeres verhindert werden. Bei Hitler, Putin und vielen weiteren Personen war es leider zu spät.
Schließlich geht es auch darum, was Menschen tun können, die derzeit in einem Land voller Gewalt leben. Es wird nicht leicht sein, aber sie sollten versuchen, das gesellschaftliche Trauma ihres Landes in Selbsthilfegruppen zu diskutieren, um es aufzuarbeiten. Es sollte in diesen Gruppen Zeit und Raum für das Aussprechen der Trauer sein, aber es sollte danach auch diskutiert werden, wie man den Kreislauf der Gewalt in Zukunft durchbrechen könnte, vor allem dann, wenn dieser Kreislauf bereits in der eigenen Familie begonnen hat. Der psychologische Begriff dafür nennt sich "transgenerationales Trauma".
Auch die psychologische Entstehung von Hass sollte diskutiert werden. Es ist verständlich, wenn Hass auftritt, weil man selbst, oder das eigene Land angegriffen oder unterdrückt wurde. Aber es wäre wichtig, jenen Hass zu erkennen, der durch erfahrene Gewalt oder Vernachlässigung in der Kindheit entstanden ist. Genauso wichtig wäre es, jenen Hass zu erkennen, der aus Neid oder Sehnsucht entsteht, die man jedoch nicht zugibt. Der Psychologe Arno Gruen hat dazu wichtige Texte geschrieben, und auch das "Strict father model" von George Lakoff ist relevant: es erklärt, warum Personen, die selbst streng erzogen wurden, gerne autoritäre Politiker wählen. Schon vor über siebzig Jahren wurde es unter den Begriffen "autoritärer Charakter" und "autoritäre Persönlichkeit" untersucht.
Aber auch friedliche Länder müssen auf negative Entwicklungen achten, die ihre Friedlichkeit gefährden können. Eine schleichende Gefahr ist die immer stärker werdende Gewalt in den Medien und auf Social Media. Krimis und Serien zeigen immer öfter detailgenau Gewaltszenen, die Folge ist eine Desensibilisierung vieler Menschen. In Nachrichtensendungen gilt offenbar immer stärker "only bad news is good news". So wird den Menschen selbst in friedlichen Ländern vermittelt, dass Gewalt Normalität ist, anstatt über jene Faktoren zu berichten, die den Frieden stärken: die Demokratie, Aktivitäten sozialer Vereine und der Zivilgesellschaft, Bildungsinitiativen, eine inklusive Sozialpolitik und Gesundheitspolitik, ein ausgleichendes Steuersystem, das zu große Ungleichheiten vermeidet. Leider merken viele Medien nicht, dass zu viel Berichterstattung über Gewalt zu Nachrichtenvermeidung (News Avoidance) führt, und damit zu einer generellen Abwendung vom betreffenden Medium. Und natürlich sind Computerspiele, in denen Menschen getötet und verletzt werden können, abzulehnen. Sie sind meist in einem Land produziert worden, in dem eine höhere Kultur der Gewalt herrscht als in der Europäischen Union.
Alle Wege zum Weltfrieden, die ich genannt habe, sind sicher keine Strategien, die schnell wirken. Natürlich geht es bei aktuellen Kriegen darum, Friedensverhandlungen zu führen: am besten, wie ich bereits erklärt habe, von Frauen. Auch Methoden der Mediation wie die gewaltfreie Kommunikation und Empathy Circles können dabei hilfreich sein.
Aber wer einen nachhaltigen Weltfrieden anstrebt, muss meiner Ansicht nach all jene Punkte beachten, die ich hier aufgezählt habe, auch wenn sie erst längerfristig wirksam werden. Und wer als Politikerin oder Politiker wirklich den Frieden als höchstes Ziel verfolgt, sollte sich an den friedlichsten Ländern der Welt orientieren.
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