Interdisziplinäre Friedensforschung

Die Friedensforschung kann im 21. Jahrhundert bereits auf zahlreiche internationale Statistiken zur Friedlichkeit der Länder weltweit und zu einigen sozialen und psychologischen Indikatoren in diesen Ländern zugreifen.

Insoferne geht es in Zukunft darum, Forschungsergebnisse interdisziplinär zu diskutieren, und interdisziplinär neue Forschungsthemen anzuregen. Wichtig erscheint dabei der Austausch mit

  • Politische Psychologie: Wie beeinflussen Erziehungsstile die Friedlichkeit von Ländern (Thema Körperstrafe)? Wie ist die Kindheit der Kriegstreiber verlaufen?
  • Gender Studies: in welchen Kulturen prägen sich gewalttätige Männlichkeiten aus - in welchen "caring Masculinities"? Wie beeinflussen Väter und Mütter friedliche Männlichkeit und friedliche Weiblichkeiten? Welchen Einfluss hat Gewalt und Diskriminierung von LGBTIQ+ Personen auf die friedlichkeit von Ländern?
  • Pädagogik: kann Friedenspädagogik heutzutage die Ergebnisse der internationalen Friedensindizes (Global Peace Index, Positive Peace Index) stärker in die Friedenserziehung einfließen lassen? Wie können Elternseminare über gewaltfreie Kindererziehung die Friedlichkeit eines Landes fördern.
  • Kultur- und Sozialanthropologie: wo und wie haben sich friedliche Gesellschaften entwickelt?
  • Religionswissenschaften / Theologie / Secular Studies: Welchen Einfluss haben Religionen auf die Friedlichkeit von Gesellschaften? Werden alle Formen der Gewalt eher in säkularen Ländern verboten? 
  • Publizistik und Kommunikationswissenschaften: gefährdet Gewalt in den Medien eine gesellschaftliche Kultur des Friedens? Welchen Einfluss haben Social Media Plattformen und gewalttätige Computerspiele?
  • Rechtswissenschaften: Wie beeinflusst die Rechtssprechung eines Landes dessen Friedlichkeit?
  • Psychologie: Wie kann eine Kultur der Empathie durch nonverbale Kommunikationsmodelle gefördert werden? Wie ist Versöhnung möglich, wie die Bewältigung von Kriegstraumata?

Updates dazu gibt es laufend auf Linkedin , ResearchgateX.com und Facebook, sowie auf dem SDG 16 Podcast, der auch auf Spotify, Amazon Podcasts und Youtube Music verfügbar ist.

Franz Jedlicka

Postgraduate Student an der Universität Wien


Was ist Peace Mainstreaming?

Peace Mainstreaming, ein Begriff der vom Friedensforscher Franz Jedlicka geprägt wurde, ist eine langfristige Friedensstrategie, die innerhalb eines Landes stattfinden sollte, wenn die politische Kräfte in diesem Land bestrebt sind, das Land stabiler und friedlicher zu machen. Es ist jedoch keine Konfliktregelungsmethode zwischen zwei Ländern. 

Peace Mainstreaming bedeutet einerseits, Gewalt, Unterdrückung und Diskriminierung in allen gesellschaftlichen Bereichen zu erkennen und zu reduzieren. Andererseits bedeutet es, eine Kultur der Empathie zu fördern, indem das Prinzip der gewaltfreien Konfliktlösung in möglichst vielen gesellschaftlichen Bereichen propagiert und eingeübt wird. Außerdem müssen friedliche Männlichkeitsideale gefördert werden.

Peace Mainstreaming Franz Jedlicka

Am wichtigsten für den ersten Bereich ist ein Verbot aller Formen der Gewalt, beginnend mit dem Verbot von Gewalt in der Kindererziehung und der Gewalt gegen Frauen (Legislation-Peace Nexus). Wichtig für den zweiten Teil ist es, Kommunikationsmodelle bekannt zu machen und zu üben, die von einem aufmerksamen Zuhören gekennzeichnet sind (z.B. Empathiekreise). Nur so kann menschliches Leid erkannt und eine geeignete Hilfe geleistet werden. Eine gewaltfreie Männlichkeit kann durch die Förderung aktiver Vaterschaft erreicht werden, aber auch durch eine Steigerung der Anzahl von Männern in sozialen Berufen und Gesundheitsberufen (caring masculinities).

Demnächst werden Übersetzungen des vor kurzem veröffentlichten englischen Ebooks erscheinen, voraussichtlich auf https://franzjedlicka.wordpress.com und auf https://sites.google.com/view/peace-studies/ 

Wie Weltfrieden aus Sicht der Friedensforschung erreicht werden kann

von Franz Jedlicka

   Viele Menschen wünschen sich Frieden auf der Welt. Auch beim Thema Weltfrieden gibt es jedoch ein einfaches Prinzip, das für viele Themen des Lebens gilt: Man sollte von jenen lernen, die es besser machen als man selbst. Das heißt: man kann von den friedlichsten Ländern der Welt lernen. Drei wichtige Merkmale dieser Länder sind: die Staatsform der Demokratie, eine konsequente Gesetzgebung der Gewaltlosigkeit, und eine hohe Gleichberechtigung von Frauen.

   Ich möchte mich in diesem Text auf das zweite und dritte Merkmal konzentrieren, da die Bedeutung der Demokratie für Friedlichkeit weitgehend bekannt ist. 

   Meine Friedensforschung, in der ich die Gesetzgebung in allen Ländern der Welt in Bezug auf verschiedene Formen der Gewalt analysiert habe (in der Culture of Violence Scale), zeigt folgendes: Friedliche Länder haben ALLE Formen der Gewalt gesetzlich verboten. Das ist zum Beispiel in den meisten Ländern der Europäischen Union der Fall. Dort ist sowohl die Gewalt gegen Kinder, die Gewalt gegen Frauen, die Todesstrafe, die Folter, die körperliche Bestrafung im Strafvollzug, und die Gewalt gegen Homosexuelle verboten.

   Eine Regierung, die ihren Bürgerinnen und Bürgern zeigen will, dass Gewalt in keiner Situation ein Mittel der Konfliktlösung ist, muss dies nämlich auch in der Gesetzgebung festhalten. Die Gesetze eines Landes sind die Grundlage für das Verhalten der Menschen und meist auch die Grundlage ihrer Moral. Nur ein absolutes Verbot aller Formen von Gewalt zeigt eine konsequente Politik der Gewaltfreiheit.

   Am wichtigsten dabei aus Sicht der Friedenspsychologie ist das Verbot der Gewalt in der Kindererziehung. Eine gewaltfreie Kindheit ist das psychologische Fundament einer friedlichen Gesellschaft, aber leider ist die körperliche Bestrafung von Kindern derzeit (2025) nur in rund einem Drittel der Länder weltweit verboten. Politische Akteure und Akteurinnen, die das verstanden haben, müssen bei diesem Thema möglichst schnell handeln, denn es dauert rund zwanzig Jahre, bis eine gewaltfreie Generation herangewachsen ist. Informationen für eine geeignete Strategie geben die Empfehlungen der EndCorporalPunishment Webseite und die kostenlosen Publikationen der INSPIRE Strategie. Sowohl die USA als auch Russland und andere global Player werden vermutlich nicht nachhaltig friedlich werden, so lange dort noch die Gewalt gegen Kinder erlaubt wird.

Weltfrieden Friedensforschung Franz Jedlicka

   Was für das Thema Kinderschutz gilt, gilt natürlich auch für das Thema Gewalt gegen Frauen: auch sie muss gesetzlich verboten werden, genauso wie die Vergewaltigung in der Ehe (sie ist auch ein Item in der Culture of Violence Scale). Wie soll ein Land friedlich werden, wenn bereits das Schlagen von Frauen und Kindern erlaubt ist? Es gibt auch eine Intersektionalität zwischen häuslicher Gewalt gegen Frauen und der Gewalt in der Kindererziehung: sie treten oft gemeinsam auf, und viele Menschen, die als Kind Gewalt erlebt oder bei den Eltern beobachtet haben, wiederholen dieses Verhalten. Sie haben mit eigenen Augen erfahren, dass Gewalt ein erlaubtes Mittel der Konfliktlösung ist.

   Neben der Gesetzgebung in Bezug auf die genannten Formen von Gewalt ist auch die Gleichberechtigung von Frauen ein wichtiger Friedensfaktor. Je höher sie ist, desto friedlicher ist ein Land. Das wurde auch statistisch bewiesen, z.B. von Valerie Hudson (WomenStats Projekt). Eine mangelnde Gleichberechtigung ist ein Zeichen von "struktureller Gewalt" (ein Begriff des Friedensforschers Johan Galtung). Das Gleiche gilt übrigens auch für die Unterdrückung von Homosexuellen und LGBTIQ+ Personen. Auch die UNO hat diese Erkenntnis berücksichtigt: Sie empfiehlt in der UNSC Resolution 1325 die Beteiligung von Frauen an Peacebuilding Prozessen, darunter versteht man Strategien der Friedensförderung, zum Beispiel Friedensverhandlungen.

   Religionen, zum Beispiel "Religions for Peace", werden nur dann einen Beitrag zum Weltfrieden liefern, wenn sie alle der genannten drei Faktoren unterstützen: die Staatsform der Demokratie, ein konsequentes gesetzliches Verbot aller Formen von Gewalt, beginnend mit dem Verbot der Gewalt in der Kindererziehung und einem Verbot der Gewalt gegen Frauen, und die Gleichberechtigung der Geschlechter. Sie werden den Weltfrieden jedoch behindern, wenn sie all jene Formen der Gewalt oder der Diskriminierung, die bisher erwähnt wurden dulden oder sogar bewerben. Das ist leider bei den Themen Prügelstrafe in der Erziehung und Gewalt gegen Frauen und Homosexuelle noch immer der Fall. Sogar der aktuelle Papst Franziskus hat bereits mehrmals die körperliche Züchtigung von Kindern empfohlen. Ohne es vermutlich zu wissen, behindert er damit seine eigene Friedensmission. Leider wird auch die Gleichberechtigung von Frauen von vielen Religionen behindert oder sogar verhindert.

   Religiöse Führer, und alle anderen politischen Akteure die sich mit den negativen Wirkungen der Gewalt in der Kindheit bisher nicht befasst haben, sollten die Bücher und Texte von Alice Miller lesen, und jene, die bisher geglaubt haben, dass der Mensch grundsätzlich böse ist und durch strenge Bestrafung auf den richtigen Weg gebracht werden muss, sollten das "Seville Statement on Violence" führender Psychologinnen und Psychologen lesen, die das Gegenteil aussagt, oder das Buch "Im Grunde gut" von Rutger Bregman.

   Was bedeutet das für die Friedensbewegung? Es bedeutet, dass es nicht ausreichen wird, auf den Straßen für Frieden zu demonstrieren. Aktivistinnen und Aktivisten der Friedensbewegung müssen sich für Demokratien, für ein gesetzliches Verbot aller Formen von Gewalt, und für die Gleichberechtigung von Frauen einsetzen. Dazu wird ein internationaler Aktivismus notwendig sein, wie ihn zum Beispiel Amnesty International betreibt. Auch Männer in der Friedensbewegung müssen sich klar für die Gleichberechtigung von Frauen aussprechen, indem sie sich zum Beispiel zur HeForShe Kampagne bekennen oder den White Ribbon der White Ribbon Kampagne tragen, einer weltweiten Bewegung von Männern gegen häusliche Gewalt.

   Auch in der Entwicklungshilfe und Entwicklungspolitik muss man die genannten Faktoren berücksichtigen. Im Triple Nexus Konzept, das auch HDP Nexus genannt wird, wird bereits jetzt empfohlen, dass Aktivitäten der Entwicklungshilfe und der humanitären Hilfe durch Aktivitäten zur Friedensförderung ergänzt werden sollten. Könnte zum Beispiel in der Entwicklungszusammenarbeit immer auf die Wichtigkeit einer gewaltfreien Kindererziehung hingewiesen werden?

   Auch Journalistinnen und Journalisten können eine wichtige Rolle beim Thema Weltfrieden spielen. Sie sollten immer wieder jene Zusammenhänge erklären, die ich heute hier aufgezählt habe. Wenn es um autoritäre politische Führer geht, die erfahrungsgemäß eine Gefahr für die Friedlichkeit darstellen, sollten Journalisten versuchen, die Kindheit dieser Personen zu erforschen. In der psycho-historischen Forschung, in der die Biographien von Politikerinnen und Politikern analysiert wurden, hat sich gezeigt, dass Kriegstreiber und Diktatoren selbst Gewalt in der Kindheit erlebt haben. Das kann man zum Beispiel in den Publikationen und im Blog von Sven Fuchs nachlesen. Wenn man diesen Umstand rechtzeitig erkennt, kann vielleicht Schlimmeres verhindert werden. Bei Hitler, Putin und vielen weiteren Personen war es leider zu spät.

   Schließlich geht es auch darum, was Menschen tun können, die derzeit in einem Land voller Gewalt leben. Es wird nicht leicht sein, aber sie sollten versuchen, das gesellschaftliche Trauma ihres Landes in Selbsthilfegruppen zu diskutieren, um es aufzuarbeiten. Es sollte in diesen Gruppen Zeit und Raum für das Aussprechen der Trauer sein, aber es sollte danach auch diskutiert werden, wie man den Kreislauf der Gewalt in Zukunft durchbrechen könnte, vor allem dann, wenn dieser Kreislauf bereits in der eigenen Familie begonnen hat. Der psychologische Begriff dafür nennt sich "transgenerationales Trauma".

   Auch die psychologische Entstehung von Hass sollte diskutiert werden. Es ist verständlich, wenn Hass auftritt, weil man selbst, oder das eigene Land angegriffen oder unterdrückt wurde. Aber es wäre wichtig, jenen Hass zu erkennen, der durch erfahrene Gewalt oder Vernachlässigung in der Kindheit entstanden ist. Genauso wichtig wäre es, jenen Hass zu erkennen, der aus Neid oder Sehnsucht entsteht, die man jedoch nicht zugibt. Der Psychologe Arno Gruen hat dazu wichtige Texte geschrieben, und auch das "Strict father model" von George Lakoff ist relevant: es erklärt, warum Personen, die selbst streng erzogen wurden, gerne autoritäre Politiker wählen. Schon vor über siebzig Jahren wurde es unter den Begriffen "autoritärer Charakter" und "autoritäre Persönlichkeit" untersucht.

   Aber auch friedliche Länder müssen auf negative Entwicklungen achten, die ihre Friedlichkeit gefährden können. Eine schleichende Gefahr ist die immer stärker werdende Gewalt in den Medien und auf Social Media. Krimis und Serien zeigen immer öfter detailgenau Gewaltszenen, die Folge ist eine Desensibilisierung vieler Menschen. In Nachrichtensendungen gilt offenbar immer stärker "only bad news is good news". So wird den Menschen selbst in friedlichen Ländern vermittelt, dass Gewalt Normalität ist, anstatt über jene Faktoren zu berichten, die den Frieden stärken: die Demokratie, Aktivitäten sozialer Vereine und der Zivilgesellschaft, Bildungsinitiativen, eine inklusive Sozialpolitik und Gesundheitspolitik, ein ausgleichendes Steuersystem, das zu große Ungleichheiten vermeidet. Leider merken viele Medien nicht, dass zu viel Berichterstattung über Gewalt zu Nachrichtenvermeidung (News Avoidance) führt, und damit zu einer generellen Abwendung vom betreffenden Medium. Und natürlich sind Computerspiele, in denen Menschen getötet und verletzt werden können, abzulehnen. Sie sind meist in einem Land produziert worden, in dem eine höhere Kultur der Gewalt herrscht als in der Europäischen Union.

   Alle Wege zum Weltfrieden, die ich genannt habe, sind sicher keine Strategien, die schnell wirken. Natürlich geht es bei aktuellen Kriegen darum, Friedensverhandlungen zu führen: am besten, wie ich bereits erklärt habe, von Frauen. Auch Methoden der Mediation wie die gewaltfreie Kommunikation und Empathy Circles können dabei hilfreich sein. 

   Aber wer einen nachhaltigen Weltfrieden anstrebt, muss meiner Ansicht nach all jene Punkte beachten, die ich hier aufgezählt habe, auch wenn sie erst längerfristig wirksam werden. Und wer als Politikerin oder Politiker wirklich den Frieden als höchstes Ziel verfolgt, sollte sich an den friedlichsten Ländern der Welt orientieren.


Dieser Artikel wurde unter der Creative Commons Lizenz BY-ND 4.0 veröffentlicht, was  bedeutet, dass er in unveränderter Form und unter Nennung der Quelle (dieser Homepage) auch ohne Rücksprache mit dem Autor in anderen Online- oder Printmedien veröffentlicht werden darf, auch für kommerzielle Zwecke.

Der Wettstreit religiöser Länder mit der säkularen Welt

Friedlichkeit, Zufriedenheit, Ehrlichkeit und sozialer Fortschritt auf dem Prüfstand

von Franz Jedlicka

   Im einundzwanzigsten Jahrhundert gibt es weltweite Daten zu fast allen Aspekten des menschlichen Lebens. Wir können zum Beispiel – meist durch eine kurze Recherche im Internet – recht einfach herausfinden, wie hoch das Durchschnittseinkommen in diesem oder jenen Land der Welt ist, wie hoch die Bevölkerungsdichte oder der Grad der Alphabetisierung.

   Durch diese vielen internationalen Statistiken kann man heutzutage auch eher religiöse Länder mit säkularen Ländern vergleichen. Menschen aus religiösen Ländern äußern sich ja oft kritisch über jene Menschen, die sich selbst als nicht gläubig bezeichnen. Es gibt in manchen religiösen Gruppierungen sogar einen Hass auf die „Ungläubigen“.

   Aber ist diese kritische Sichtweise auf säkulare Länder und Nicht-Gläubige begründet? Oder, anders gefragt: Erfüllen Religionen, speziell wenn sie durch religiöse Politiker und Politikerinnen propagiert werden, die typischen Versprechen, die Religionen geben: dass das Land friedlicher wird, dass das Leben besser wird durch Religiosität, dass religiöse Menschen ehrlicher sind und letztlich auch: dass religiöse Menschen glücklicher sind?

   Es ist ja nicht zu übersehen, dass es auch große Migrationsbewegungen aus eher religiösen Ländern in säkulare Länder gibt, was wohl dadurch zu erklären ist, dass diesen Migrantinnen und Migranten ein Leben dort besser vorkommt.

   Ich möchte sowohl religiöse als auch konfessionslose Menschen einladen, sich ein paar weltweite Daten anzusehen, die Antworten auf vier Fragen geben können:

  • Erstens: sind religiöse Länder wirklich friedlicher? Ist das Alltagsleben wirklich gewaltfreier? (Diese Frage stellte übrigens schon Viktoria Rationi in ihren Publikationen)
  • Zweitens: sind Menschen in religiösen Ländern ehrlicher?
  • Drittens: Gibt es eine positive Entwicklung der Lebensumstände in religiösen Ländern? (Wird das Leben besser?)
  • Viertens: Sind Menschen in religiösen Ländern glücklicher?

   Ich rege diese Diskussion nicht deshalb an, weil ich religiöse Menschen kritisieren will, sondern weil ich als Friedensforscher mit Besorgnis und auch Trauer regelmäßig Daten über verschiedene Formen der Gewalt in den Ländern der Welt sehe, die in religiösen Ländern oft höher sind als in säkularen Ländern.

   Friedlichkeit. Der wichtigste internationale Index zur Friedlichkeit der Länder der Welt ist der Global Peace Index, der jedes Jahr vom Institute for Economics and Peace im Internet veröffentlicht wird. Wenn es um die Erforschung der Ursachen von Kriegen geht, werden natürlich historische und politische Entwicklungen in den betreffenden Regionen genannt, quasi als Begründung: hier „musste“ ja eine Partei zu den Waffen greifen. Ich denke jedoch, dass für Menschen, die einer Religion angehören die sich als friedlich bezeichnet, der Grundsatz der Gewaltfreiheit auch bei nationalen und internationalen Konflikten gelten muss: Diese Menschen werden alles versuchen, einen Konflikt durch Verhandlungen, gewaltfreien Widerstand, Embargos … zu lösen, jedoch nicht mit Bomben, Panzern und Gewehren.

   Gewaltfreiheit (Die Ablehnung von Gewalt innerhalb eines Landes:). Wer meine bisherigen Artikel gelesen hat weiß, dass ich die Ursachen für Kriege in einer „Kultur der Gewalt“ sehe, die in manchen Ländern der Welt vorherrscht und sich darin zeigt, dass de facto viele Formen der Gewalt gesetzlich nicht verboten sind. Auch diese Informationen kann man sich selbst im Internet ansehen, und viele religiöse Menschen werden möglicherweise erstaunt sein, dass das Verbot aller Formen von Gewalt vor allem in säkularen Ländern existiert:

   Als Friedensforscher vertrete ich die Ansicht, dass die Welt nur dann nachhaltig friedlich werden kann, wenn alle Formen der Gewalt weltweit verboten werden, insbesondere die Gewalt in der Kindererziehung, denn eine gewaltfreie Kindheit ist das psychologische Fundament friedlicher Gesellschaften. Ich nenne diese Strategie übrigens "Peace Mainstreaming".

   Ehrlichkeit. Sind Menschen in religiösen Ländern ehrlicher? Eine Antwort auf diese Frage liefert der Korruptionsindex (Corruption Perceptions Index).

   Sozialer Fortschritt. Ein sehr umfassender Index dazu ist der Social Progress Index. Er umfasst Daten zur Qualität des Gesundheitssystems, der Bildung, Trinkwasser und so weiter. Es geht hier also nicht um den ökonomischen Fortschritt, sondern um eine Verbesserung der Lebensqualität.

   Glück / Zufriedenheit. Sind Menschen in religiösen Ländern glücklicher? Jedes Jahr wird – aufgrund von weltweiten Umfragen – der World Happiness Report veröffentlicht. Er liefert einen Eindruck zur Lebenszufriedenheit in den Ländern der Welt.

   Die genannten Statistiken könnten also eine Antwort – oder zumindest Tendenzen – zu vier wichtigen Lebensbereichen liefern, anhand derer man religiöse Länder mit säkularen Ländern vergleichen kann. Jeder, der sich diese Statistiken angesehen hat (die sich in den kommenden Jahren sicher noch verändern werden – vielleicht kommen auch neue Statistiken dazu), kann eine Antwort auf die eingangs gestellte Frage finden:

   Wer hat die Nase vorne beim Wettlauf der säkularen Welt mit den religiösen Ländern um die Themen Friedlichkeit und Gewaltfreiheit, Ehrlichkeit, sozialen Fortschritt und Glück?

   Abschließend möchte ich noch einmal betonen, dass dieser Artikel aus meiner Perspektive als Friedensforscher und als Aktivist für eine gewaltfreie Kindheit (SDG 16.2.) und den Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt (SDG 5.2 – ich bin ein Unterstützer der White Ribbon Kampagne) entstanden ist. Es ist für mich sehr traurig und erschreckend zu sehen, dass die Gewalt gegen Kinder und Frauen in religiösen Ländern oft höher ist als in säkularen Ländern, aber natürlich sind auch alle anderen Formen von Gewalt, die ich in meiner „Culture of Violence Scale“ genannt habe, schrecklich.

   Dieser Artikel soll vor allem Diskussionen anregen: Zwischen religiösen Menschen (auch unterschiedlicher Religionen), zwischen religiösen und nichtreligiösen Menschen, und zwischen religiösen Menschen und ihren religiösen Führungspersönlichkeiten. Für all jene religiösen Menschen, die sich die Frage stellen, ob es eine positive nichtreligiöse Denkschule gibt möchte ich auf den Humanismus hinweisen, der sich für Rationalität und Vernunft einsetzt. Denn unabhängig von religiösen Geboten ist es einfach vernünftig, gewaltfrei zu leben, weil es menschliches Leid vermeidet. Und es zeugt von einem Mangel an Empathie Gewalt zuzulassen, wenn man sieht, dass Menschen darunter leiden.

   Und wer es noch nicht wusste: es gibt an manchen Universitäten schon eine Säkularitätsforschung: man findet sie im Internet unter dem Suchbegriff „Secular Studies“. In den Büchern von Phil Zuckerman, Ryan T. Cragun, Isabella Kasselstrand (u.a.) kann man nachlesen, wie es sich in säkularen Gesellschaften lebt. Derartige Fakultäten sollte es auch im deutschen Sprachraum geben.

Dieser Artikel von Franz Jedlicka wurde veröffentlicht unter folgender Creative Commons Lizenz: CC BY-ND 4.0, was bedeutet, dass er ohne Rücksprache mit dem Autor auch in anderen Publikationen und auf anderen Webseiten veröffentlicht werden darf, wenn er nicht verändert wird und die Quelle angegeben wird.

Culture of Violence Scale

Die Culture of Violence Scale ist ein Tool zur Einschätzung der Akzeptanz von Gewalt in einer Gesellschaft / in einem Land, und wird Basis für den Culture of Violence Index sein.

Sie kann ein zusätzliches Tool zur Einschätzung der Gefahr militärischer Konflikte sein, soll aber vor allem prospektiv aufzeigen, wo Friedenspolitik und Außenpolitik ansetzen muss, wenn sie auch ein  psychologisches Fundament für nachhaltigen Frieden schaffen will.

Die zehn Kategorien, die die Akzeptanz von Todesstrafe, Körperstrafe, Gewalt gegen Kinder, Gewalt gegen Frauen, Folter (+ OPCAT), und Bestrafung von LGBTIQ+ Personen umfasst, sollten jedoch auch wünschenswerterweise in der Entwicklungspolitik mitgedacht werden, wenn sie im Sinne des Triple Nexus / HDP Nexus auch die Friedlichkeit eines Landes fördern will.

Culture of Violence Scale


Das vollständige Konzept ist als PDF auf LinkedIn und Researchgate als Download verfügbar.